Portraet
Namenszug

Blogbeitrag vom 2. November 2011

Ganz falsch ist es nicht, wenn Schriftsteller ihre Arbeit in dem Bild beschreiben, sie seien die Götter ihrer Fantasiewelten. Schließlich kann man dort mit ein paar Tastendrücken alles geschehen lassen, mit anderen werden auch die einschneidendsten Ereignisse ewigem Vergessen überantwortet. Man ist Boron und Tsa in einem.

Titelbild Taladur II

Ich bin allerdings eher eine Mischung aus Aves und Rahja. Für mich ist das Schreiben eine Reise in eine Geschichte, bei der mich oft das Gefühl beschleicht, dass es sie schon gab, bevor ich sie entdeckte. Und immer verliebe ich mich in diese Geschichten, in ihre Figuren, die Guten und Edelmütigen und ja, auch in die Ängstlichen und die Bösen. Gerade Letztere bieten wohl das größte Abenteuer, die Möglichkeit, in Gegenden zu wandern, in die sich niemand sonst traut. Und sie treiben die Geschichte. Ohne Borbarad keine Dämonenkrone, keine Splitter, keine Heptarchen, weniger Dämonenpaktierer, gegen die es zu bestehen gilt. Kein Cyron, keine Goblinhorden, die Isenborn bestürmen, kein Falk, der zum Helden wächst.

In Taladur ist es nicht so leicht wie in Isenborn, die Guten von den Bösen zu scheiden. Auch in Almada gibt es sie, aber öfter als anderswo verläuft die Grenze mitten durch das Herz der Figuren. Wenn in Tobrien gepanzerte Ritter Schlachtreihen bilden, werden in Taladur Fächer aufgeklappt. Man tuschelt über Liebschaften, über den Einfluss in einer Zunft, den Preis, für den der wertvolle Alaun den Besitzer wechseln soll. Dieser Preis wird nicht immer in Gold entrichtet, manchmal ist er auch die Hand einer schönen Domñatella.

Beim Entwurf einer Geschichte, egal wie lang oder kurz sie ist, betrete ich in Gedanken schnell den Handlungsschauplatz. Wenn wir uns Taladur nähern, fallen als Erstes die Streittürme der alteingesessenen Familias ins Auge. Sechzehn sind es an der Zahl. Wer sie bewohnt, lenkt die Geschicke der Taladuri. Zur Verteidigung der Stadt tragen die wuchtigen Bauten wenig bei. Das ist auch nicht ihr Sinn, um äußere Feinde sorgt man sich im Herzen Almadas wenig.

Den Streit findet man innerhalb der Stadtmauern, ›Querella‹ ist das Wort dafür, und wenn dieses Biest von der Kette gelassen wird, muss sich jeder entscheiden, auf wessen Seite er steht. Die großen Familias pflegen ihre Traditionen von Feindschaft oder Dankbarkeit. Man kennt sich seit Generationen, viele Schwüre wurden getauscht, doch am Ende ist die Familia alles, was zählt.

Die Ernathesa und die Amazetti gehören zu den reichsten, kontrollieren sie doch die Alaunminen, wo der Schweiß Unglücklicher das wertvolle Salz aus dem Schiefer wäscht. Der Stolz der Tandori ist in ihre Ehrendegen geschmiedet, niemand befiehlt über mehr Klingen als sie. Noch nicht einmal der zwergische Graf der Waldwacht, der in Taladur residiert, geschweige den Erresto Starazza mit seiner Wehr. Gerade einmal zehn Köpfe zählt die Stadtgarde, und daher muss sich ihr Capitan auf eben diese verlassen: die Köpfe. Man muss schlau sein, oft sogar gerissen, um letztlich der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen. Manches Mal führt der Weg in Praios' Licht sogar über Pfade im Schatten bitterer Ungerechtigkeiten. Wer nicht bereit ist, sie zu gehen, mag mit reinem Gewissen sterben. Den Frieden in der Stadt wird er nicht erhalten können.

Manche genießen auch das Dunkel. Dass Lumino Xetarros Seele schwarz wie das Auge eines Raben ist, wird niemand bestreiten, der in das Gesicht des alten Magiers geblickt hat. Er hört jedes Wort, das innerhalb der Stadt gesprochen wird, egal, wie leise es geflüstert sein mag, und so manche Zofe schlägt Schutzzeichen, wenn sie glaubt, er sähe es nicht. Fast scheint es, als wollten die Götter selbst seinem Geschlecht ein Ende bereiten, aber nocht nicht einmal ihnen beugt sich der Greis. Von den Zahori kaufte er seinen ersten Sohn, den Meisterfechter Zahir, und zur Sicherheit besorgte er sich noch einen zweiten, Hesindio, die Schlange. Die Macht der Xetarro wird immer in den Schatten warten.

Auch Dom Cavazaro kann warten. Niemand ist geduldiger, verständnisvoller als er. Jeder kann zu ihm kommen, arm oder reich, Herr oder Dame, Zwerg oder Mensch, er leiht jedem sein Ohr. Er hilft gern, doch seinen Preis kennt niemand. Wenn er um einen Gefallen bittet, sollte man ihn nicht verwehren ...

Noch sind wir erst wenigen Bürgern Taladurs begegnet. Natürlich treffen die Adligen in den Gassen auch auf die Gemeinen, die in Schutz und Dienst der Familias stehen, die Weber und Schmiede, die Hirten und Winzer. Alle haben sie ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen Träume, und manche dieser Träume führen sie auf Pfade, von denen niemand zurückkehrt, wie er gegangen ist.

Aber wir wollen uns nicht erschöpfen. Suchen wir uns einen Tisch in einer Taberna am Gongplatz, bestellen wir uns einen süßen Wein, lächeln wir in die glutvollen almadanischen Augen. Wir haben Zeit. Die Geschichte hat gerade erst begonnen.



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Die Taladur-Stadtkarte zeichnete Melanie Maier.

Das Titelbild zu Die Last der Türme stammt von Alan Lathwell.